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"Drei Lilien"- Eine Deutung
Die gegenwärtig nicht bewirtschafte Gaststätte „Drei Lilien“, für die der Besitzer einen geeigneten Pächter sucht, befindet sich in Calbitz. Das Gebäude ist denkmalgeschützt, das Dach wurde 2007 neu eingedeckt und die früher zurück gebauten Gauben wurden wieder denkmalgerecht eingebaut. Die Eingangstür zur Gaststätte „Drei Lilien“ sollte nun auch wieder restauriert werden. Nachdem 1992 die Fassade des Gebäudes gestaltet und das Schnitzwerk der Tür restauriert wurde, hatte der Eigentümer damals gleichfalls nach einer Lösung für den Türanstrich gesucht. Es lag eine Farbexpertise vom Institut für Denkmalpflege Dresden vor. Das Alter der Tür wurde von dort auf 1800 oder älter geschätzt.
Der Eigentümer hatte das veranlasst, um mehr zu erfahren und letztlich die Farbigkeit für den Anstrich zu ermitteln. Das Ergebnis war interessant aber nicht befriedigend, da die ermittelte Farbigkeit unvollständig war und man davon ausgehen konnte, dass die wenig ermittelten Farben gleichfalls auch Verwitterungserscheinungen unterlagen. Es wurde schließlich dann einen Kompromiss geschlossen und die Farbgestaltung Tür - Fassade vermittelt. Nach nunmehr 18 Jahren Standzeit der Farbe machte sich ein neuer Anstrich erforderlich.
Um der Tür ihrer geschichtlichen Bedeutung wieder gerecht zu werden, haben sich der Besitzer Heinz Elste, der Maler und Kunsttheoretiker Claus Kretzschmar sowie der Restaurator Detlef Melke, der aus Mügeln stammend, in seiner Jugendzeit erste Schritte im Zeichenzirkel des Malers C. Kretzschmar machte, die Frage nach der dementsprechend farblichen Erneuerung gestellt.
Es bestand vordergründig das Interesse aller drei Initiatoren, die Tür kunstgeschichtlich so aufzuarbeiten, ihr die Ursprünglichkeit weitgehend wieder zurück zu geben. Die Restauration des maroden Sandsteingewändes schließt sich an und rundet das Vorhaben denkmalspflegerisch ab. Für den Besitzer war es dabei ebenso auch wichtig, einen heimatgeschichtlichen Beitrag für seinen Ort zu leisten. Das Alter der Tür war uns ursprünglich nicht bekannt, die Schätzung der Denkmalpflege Dresden auf ca. 1800 war auch nicht gesichert, ein jüngeres Datum konnte aber von dort auch nicht ausgeschlossen werden.
Erst eine Veröffentlichung unseres Vorhabens in der OAZ brachte nun weitere Tatsachen ans Tageslicht. So fand Fr. C. Wawrzetzka, die sich intensiv mit der Heimatgeschichte unseres Wohnortes beschäftigt, in einer kunstgeschichtlichen Niederschrift von C. Gurlitt einen Eintrag. Dem nach wurde die Tür etwa um 1740 angefertigt.
Es ist davon auszugehen, dass das Schnitzwerk vom Holzbildhauer Christian Friedrich Conrad, einem in Calbitz ansässigen Handwerker und Künstler, gestaltet wurde. Es wird im Weiteren darauf geschlossen, dass auch die Tür des damaligen Tischlers Andreas Kolb, heute von Christian Busch (Markt 2) zur gleichen Zeit und durch denselben Künstler entstand. Die Geschichtsbeschreibung lässt die Vermutung zu, dass beide Türen von Achatius Carl Porsch aus Wurzen bemalt wurden, das gilt aber weniger als gesichert. Beide Künstler hatten die neue Kanzel über dem Altar der Luppaer Kirche 1730 gefertigt. Die Gestaltung der Tür gab dem Gasthaus den Namen.
Der Auftraggeber der Tür muss ein Gläubiger und gebildeter Mensch gewesen sein.
Die Tür gibt Auskunft über den Zweck und die Bedeutung des Gasthauses in früherer Zeit. Fuhrwerke, die in Richtung Leipzig unterwegs waren, rasteten hier. Die Pferde wurden gefüttert und getränkt. Die Ruhezeit war für die Tiere noch wichtiger, sie wurden im „Gaststall“ untergebracht, der Raum des auf dem Hof befindlichen Seitengebäudes trägt heute noch diesen Namen. Die Fahrt in Richtung Leipzig wurde für die Pferde sehr anstrengend, längere Anstiege mussten überwunden werden. Ausgeruhte Pferde, die im Stall des Gasthauses standen, verstärkten die Gespanne. Gemeinsam wurden die Anstiege bewältigt, vom Ausspanneberg kamen die Pferde wieder zurück. Die Tür des Gasthauses veranschaulicht den Zweck desselben. Die Lage an der Verbindungsstraße zwischen Dresden und Leipzig hat den Charakter des Hauses von jeher geprägt.
Die Gäste dieses Hauses waren meist Durchreisende, die hier ihren Hunger stillten. Früher mussten auch noch die Zugtiere versorgt werden, Reparaturen an den Fuhrwerken aber auch das Beschlagen der Pferde macht sich notwendig. Die Schmiede schräg gegenüber ist wahrscheinlich im Zusammenhang angesiedelt, ihr Alter aber völlig unbekannt. Auch eine Stellmacherei ist unweit des Gasthofes zu finden. Zu DDR-Zeiten hielt der Linien Bus Leipzig-Dresden bei jeder Tour in Calbitz und machte große Rast im Gasthof. Volkstümlich könnte das Gasthaus „Zur Einkehr“ oder „Zur Klause“ benannt werden. Deutet man die Gestaltung der Tür, könnte das Haus auch „Zum Eremiten“, „Einsiedler“ oder „Klausner“ heißen.
Die Lilie ist das Sinnbild der Gnade Gottes, die Vergebung der Sünden oder der jungfräulichen Reinheit. Drei Lilienstengel wuchsen vor dem Heiligen Aegidius aus dem Boden. Die Zahl Drei galt schon in vorchristlichen Religionen als Innbegriff höchster Heiligkeit und Vollendung. Sie ist unteilbar und kann nicht in zwei gleiche Teile zerlegt werden, sie ist vollkommen. Der Heilige Aegidius war gebürtiger Athener, er lebt aber als Einsiedler in der Provence (vom 7. zum 8. Jhdt.). Eine Hirschkuh soll ihn mit ihrer Milch ernährt haben. Ein Pfeil, der die Hirschkuh töten sollte, verwundete ihn. Später gründete er ein Kloster. Nach seiner Aufnahme in die Reihe der 14 Nothelfer genoss er größte Verehrung, vor allem in Deutschland und Österreich.
Die Oschatzer Kirche trägt auch den Namen dieses Heiligen. Der Einsiedler lebte entrückt von der übrigen Welt. Er hatte sich dem Weltlichen entsagt. Pilger und andere Wanderer waren in seiner Klause stets willkommen. Ein Nachtlager und eine bescheidene Mahlzeit für den Fremden gab es immer. Er bedankte sich mit den neusten Nachrichten aus der damaligen Welt. Manchmal gab es auch einen Obolus für das Nachtlager. Morgens zog der Fremde weiter. Was bedeutet das nun für die Gestaltung der Haustür? Ihre Farbigkeit muss deswegen auch dem symbolischen Inhalt entsprechen. Im unteren Teil der Tür, links und rechts, ist die Sonne und symbolisch die Erde zu sehen. Blendendes Licht ist biblisch vielfach belegt und Zeichen höchster Göttlichkeit und Heiligkeit. Die Sonne wird mit Christus gleichgesetzt. Verschiedene Blautöne bilden den Rahmen und den Hintergrund der Türfelder. Blau ist die Symbolfarbe für die Dauer und zeitlose Ewigkeit. Gelb ist die Farbe der Erleuchtung und Erlösung. Sinngemäß ist die Farbe um das Haupt des Erlösers Jesus Christus gelb. Die Symbolik der Tür war eine Einladung zum Verweilen nach einer beschwerlichen Reise.
Die Tür sollte nun aufwendig restauriert werden. Das gründliche Entfernen der alten und verwitterten Farbschichten machte sich notwendig, ebenso eine Holzimprägnierung und Grundierung ehe die Farben aufgetragen werden konnten. Um die Farbigkeit zu verstehen, wollen wir mit diesem Artikel auch das Interesse und Verständnis der Bürger bei einem nicht alltäglichen oder eher seltenen Kunstwerk wecken. Vielleicht kann dann auch einmal die Farbigkeit des Gebäudes umgekehrt wie oben berichtet der Tür angepasst werden. Wenn auch in unserer heutigen Zeit die Gastwirte unter anderen wirtschaftlichen Aspekten arbeiten müssen und die Ansprüche der Gäste nicht mit denen aus unserer alten Zeit mehr vergleichbar sind, bleibt es doch ein geschichtsträchtiger, ehrwürdiger Gasthof, dessen innere Einrichtung in unserer Gegend seinesgleichen sucht. Gleichwohl aber einen ebenso ehrwürdigen und gescheiten Gastwirt bedarf, unsere in Sachsen fast verlorene „Kneipenkultur“ vergangener Jahrzehnte auch in ein Dorf wieder zurückzuholen. Sie ist ja auch in den anderen Bundesländern „ohne Wende“ nicht verlorengegangen. (Quelle: Text und Bilder von Claus Kretzschmar und Heinz Elste/OAZ vom 10. Februar 2010)