Via Regia

 

Die älteste Hauptstraße des West-Ost-Verkehrs war die sogenannte Hohe Landstraße, die via regia. Vom Rhein und Main (Frankfurt) führte sie über Thüringen (Eisenach, Erfurt) nach der Saalepforte bei Naumburg, über Weißenfels nach Leipzig von dort über Wurzen, Oschatz, Calbitz, den Elbübergang bei Merschwitz (bei Riesa), über Großenhain, Königsbrück, Kamenz, Bautzen, Görlitz, Breslau nach Krakow. Allerdings verlief diese Strecke nicht immer so. Zeitweise gab es Abweichungen z. B. über Grimma nach Oschatz oder von Leipzig über Eilenburg nach Oschatz. Eine weitere Abweichung auf eine Nebenstraße war von Wurzen über Dornreichenbach, Meltewitz, Dahlen, Lampertswalde, Strehla, Großenhain, auch kleine Salzstraße genannt. Ursache dafür mögen Unbefahrbarkeit der nicht ausgebauten Straße, Kriegswirren und Pest gewesen sein. Umgehungen erfolgten auch um bestimmte Geleitsabgaben nicht entrichten zu müssen.

Aus einer Urkunde über Geleit des Jahres 1399 durch Markgraf Wilhelm von Meißen erfahren wir die Wegführung über Oschatz-Grimma. 1462 war es dann die Strecke über Eilenburg. Aber die Verbindung durch Calbitz wurde wahrscheinlich gleichzeitig genutzt, wie eine Urkunde von 1498 beweist, wo das „geleyte czu Kalbitz" veräußert wurde, wahrscheinlich, weil Wurzen nicht kursächsisch sondern bischöflich-meißnisch war oder weil der Muldenübergang Wurzen nicht günstig war. Trotzdem muss auch die Strecke Wurzen-Oschatz befahren worden sein, denn schon 1350 wird Calbitz als oppidum, das ist eine befestigte Siedlung, genannt. Dies ist nur möglich durch Verkehr auf der Straße.

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Der Markt

Ab 1476 finden wir die Bezeichnung Marktflecken. Einen Markt gibt es in verkleinerter Form bis heute. Eigenartig ist die lange Dreiecksform des Marktes. Sehenswert noch heute ist die Haustür des Gebäudes “Drei Lilien".

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Sie verrät einen einfallsreichen Tischler und Schnitzer aus der Zeit etwa um 1800 bis 1850.

Während die fächerförmigen Eckenfüllungen im Unterteil häufig anzutreffen sind, dürften die sorgfältig geschnitzten Lilien im Oberteil eine Seltenheit sein. Auch die farbliche Gestaltung ist gut. Türknäufe und Türklinke sind noch in alter Form in Messing erhalten.

Gegenüber den“Drei Lilien" befindet sich das denkmalgeschützte Haus der Familien Helmut und Christian Busch. Seine Entstehung kann man Anfang des 19. Jahrhunderts vermuten. Am Giebelansatz sehen wir einen kräftigen Zahnschnitt, darunter ein durch Ringe gezogenes Tuchgehänge. Abgeputzt ist es im Spritzguss mit geglätteten Lisenen. Tür und Fenstergewände sind aus Holz gefertigt. Die Füllungen der zweiflügeligen Haustür sind mit Rankenwerk und Füllhorn verziert und farblich gut gestaltet. Wir wissen heute nicht mehr, ob der Erbauer ein vermögender Kaufmann oder Handwerker war.

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Zwei weitere Gebäude am Markt tragen noch Türgewandschlußsteine mit den Jahreszahlen 1831 und 1832. Die Zahlen beweisen den Wiederaufbau der Häuser nach dem großen Brand von 1831. Solche Marktflecken und Städte brauchten die Fuhrleute, um Handwerker und Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen. Die schlechten Straßen haben dazu geführt, dass es oft an Wagen und Geschirren etwas zu reparieren gab. Nachts fühlten sich die Fuhrleute nur in Städten und Marktsiedlungen sicher. Wir müssen bedenken, dass die Reisestrecke pro Tag nur bis etwa 25 km betrug. Auf dem Markt zu Calbitz werden dann Wagen abgestellt worden sein, während die Zugtiere in Höfen untergebracht wurden.

Das älteste Frachtgut war Salz, welches nach dem Osten transportiert wurde. Andere Frachtgüter waren Barchent, Bettzüge, Baumwollzeug, Sensen, Sicheln, kleine und große Mulden, Wolle, Holz, russisches Wachs (Bienenwachs), Leder, Felle, Tuche aus Polen, Brügge, Gent und anderen Orten in Ballen.

Pech, Eisen, Getreide, Tonnengut (Hering, Fisch, Honig), Seide, Pfeffer und andere Gewürze, Weine aus Böhmen und Italien ... man könnte noch weiter aufzählen.

Aber auch Tiere, oft Hunderte, wurden auf der Straße entlang getrieben.

 


 

Poststraße

Die Frachtwagen wurden mit der Zeit immer größer, waren oft mit vier Pferden bespannt oder benötigten zusätzliche Bespannung z. B. in Luppa um den Ausspanneberg in Richtung Kühren zu nutzen. Einen weiteren Aufschwung des Verkehrs brachte die Leipziger Messe (seit Mitte des 13. Jahrhunderts, 1507 Anerkennung als Reichsmesse durch Kaiser Maximilian I).

Messen fanden dreimal im Jahr statt und dauerten jedes Mal drei Wochen. Die Orte an den Zufahrtsstraßen nach Leipzig dürften in dieser Zeit restlos überfüllt gewesen sein.

Die Menschen benötigten Übernachtungsmöglichkeiten. Nach einer Feststellung von Heinz Elste nach einem Umbau dürfte der erste Stock im Gasthof „Drei Lilien" aus lauter einzelnen Zimmern bestanden haben, welche vom Korridor aus beheizt wurden. Der große Hof daselbst bot auch viele Möglichkeiten für das Abstellen der Wagen und für Unterkunft der Tiere in Ställen.

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In Kriegszeiten zogen natürlich auf diesen Straßen auch die Kriegsscharen, welche die an den Straßen liegenden Orte plünderten und brandschatzten. Aber auch die Pest wurde durch die Menschen mitgebracht. So kamen durch Calbitz nicht nur Reisende, Fuhrleute, Kriegsknechte, Fürsten, sondern auch Vertreter vieler Völker aus Europa. Oft verkauften sie ihre Waren wahrscheinlich auf dem Markt zu Calbitz.

Bis 1480 gab es in Calbitz das Recht, Märkte abzuhalten. Das Marktrecht wurde dann nach Altmügeln verkauft. Märkte dürften dann auch noch weiterhin in Calbitz stattgefunden haben.

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Die Hohe Straße wurde ab dem 17. Jahrhundert auch Poststraße genannt. War es zunächst ab 1625 nur eine Briefpost welche durch einen Reiter zweimal in der Woche befördert wurde, fuhr ab 1683 die Postkutsche von Leipzig nach Dresden und umgekehrt auf dieser Straße. 1704 wurde dann Calbitz Poststation. Hier wurden die Pferde gewechselt, für die Reisenden war inzwischen Rast im Gasthof „Drei Lilien".

1725 wurde infolge des Baues des Jagdschlosses Hubertusburg die Poststrecke über Wermsdorf gelegt. 1803 allerdings folgte die Post wieder der alten Strecke über Calbitz, aber es wurde nun Luppa Poststation. Bis 1885 fuhren die Postkutschen auf dieser Strecke.

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Das Foto zeigt den Postbeamten Johann Carl Robert Minnich auf einer Postkutsche vor dem Gasthof zum goldnen Lämmchen.
(Zur Verfügung gestellt vom Urenkel Frank Bergmann)

 


 

Persönlichkeiten

Die „Hohe Straße" wurde auch durch hohe Persönlichkeiten benutzt. Nachweisbar kamen Goethe am 19. 4. 1813, August der Starke mit großem Gefolge, wenn er zur Messe fuhr, der russische Zar Peter der I. (1698, 1711, 1713), Napoleon in der Nacht vom 22. zum 23. 7.1807 von Dresden kommend und ebenso am 8. Oktober 1813 durch Calbitz.

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Nach der Niederlage Napoleons in Russland zogen Reste der Armee 1813 auch auf dieser Straße entlang. Da in Hubertusburg ein großes Lazarett war, bogen viele verwundete Soldaten in Calbitz nach Wermsdorf ab. Die sogenannte Franzosenbrücke im Wermsdorfer Wald könnte daher ihren Namen haben.

Am 15. Oktober 1813 zogen russische Kosaken auf der Straße entlang. Die Einwohner des Dorfes erschraken zunächst über die struppigen Pferde der Kosaken. Aber bis auf Ausnahmen verhielten die Kosaken sich diszipliniert und anständig. Vergehen gegen die Bevölkerung wurden streng betraft, wie ein Vorkommnis in unserem Dorf belegt.Da drang ein Kosak in das Haus des Schuhmachers ein. Da er nichts Brauchbares fand, mißhandelte er die Frau. Aber die mutige Schuhmacherfrau meldete dies dem Anführer. Er ließ alle Reiter antreten, und die Frau fand den Missetäter heraus. Was dann geschah, war bestimmt lange Gesprächsstoff im Dorf. Die Kosaken mussten Ruten besorgen, dann ließ der Anführer seine Soldaten auf der Straße an der Kirche in zwei Reihen aufstellen. Jeder hatte eine Rute in der Hand. Der Missetäter musste mit entblößtem Oberkörper die Gasse durch laufen, und von beiden Seiten erhielt er die Hiebe. Vor ihm ging noch ein Trommler. Spießrutenlauf 1813 in Calbitz!


 

19. Jahrhundert

Den Begriff Straße dürfen wir nicht mit heutigen Vorstellungen messen. Es gab nicht mal einen Unterbau. Bei Regen verwandelte sich die Straße auch in den Orten, in Schlammlöcher und ausgefahrene Gleise.So klagt August Schumann in seinem Staats-, Post- und Zeitungslexikon von Sachsen 1823:

„Zwei Hauptgebrechen am sächsischen übrigens sich sehr empfehlenden Postwesen sind: großenteils noch schlechte Poststraßen und unpassende Wagen."

In dieser Zeit wurden aber die ersten Abschnitte der Straße nach französischem Vorbild als Chaussee ausgebaut. Ab 1826 richtete man eine Eilpostlinie zwischen Leipzig und Dresden ein, welche nur eine Fahrzeit von 12 Stunden hatte. Ab 1830 gab es in Wurzen eine Brücke, wodurch die Mulde schneller überquert werden konnte.

Im Sommer des Jahres 1833 wanderte und fuhr auf der Straße Friedrich List, um den Plan für die Eisenbahnlinie Leipzig-Dresden festzulegen. Die Eröffnung dieser Bahnlinie 1839 versetzte der Hohen Straße nach und nach einen allmählichen Rückschlag, aber nicht für immer. Trotzdem wurden weitere Teile der Straße mit Unterbau versehen, um eine durchgehende Chaussee zu schaffen.

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Das 20. Jahrhundert eröffnete mit dem Auto und dem Motorrad der Straße eine neue Perspektive. Erst in dieser Zeit, um die Mitte der dreißiger Jahre, wurde die Straße im Dorf mit Steinen gepflastert.

Nach dem ersten Weltkrieg wurde die ehemalige Hohe Straße zur Reichsstraße 6, dann zur Fernverkehrsstraße 6 umbenannt.

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In Calbitz entstanden drei Tankstellen. Die Gasthöfe im Dorf hatten wieder zunehmenden Gästezustrom. Bald gab es wieder eine Personenbeförderung, diesmal mit Bus zwischen Leipzig und Dresden.

 


 

20. Jahrhundert

Auf der Straße zogen aber auch kurz vor Ausbruch des 2. Weltkrieges tausende Soldaten nach Osten. Ein trauriges Kapitel der Straße ist der tagelange Durchzug von KZ-Häftlingen in den Apriltagen des Jahres 1945. Allein fünf Häftlinge wurden durch die SS-Wachmannschaften im Dorf erschossen. Trotzdem gelang mit Hilfe von Calbitzer Einwohnern einigen Häftlingen die Flucht.

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Die Straße wurde auch von vordrängenden amerikanischen Truppen benutzt, einige Tage später jedoch marschierte die Sowjet-Armee in Calbitz ein (5. Mai 1945).

Nach dem 2. Weltkrieg wurde es zunächst still auf dieser Straße. Ab der fünfziger Jahre nahm der Verkehr wieder zu. In den siebziger Jahren war Calbitz noch einmal Raststätte für die Fahrgäste der Buslinie Leipzig-Dresden. Auf dem Markt in Calbitz angekommen, rief die Schaffnerin in den Bus und in den Anhänger: „Calbitz, 15 Minuten Kaffeepause". Gerastet wurde wieder in den „Drei Lilien", dessen Name allerdings nicht zu klären ist.

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Mit dem Postauto konnte man täglich nach Dahlen, aber auch nach Oschatz fahren. Ab der siebziger Jahre kam es zu einem enormen Zuwachs des Verkehrs auf dieser Straße. Immer mehr Güter wurden schnell in immer größer werdenden Lastzügen befördert. Eine Umgehungsstraße war im Gespräch. Es wurde geplant und vermessen. Aber das fehlende Geld verhinderte eine Ausführung. So ärgerten sich weiterhin alle Kraftfahrer über die schlechte Ortsdurchfahrt. Nach der Wende kam es nochmals zu einer erneuten Zunahme des Verkehrs. Sogar Doppelstockbusse passierten Calbitz, um die Reisenden in viele Länder zu fahren.

1991 wurde ein Neubau der Ortsdurchfahrt Wirklichkeit. In einer Bauzeit von fast fünf Monaten wurde die alte Straße restlos entfernt. Erstaunlich bei der Abtragung der alten Straßendecke war der geringe Unterbau. Abwasser, Wasser, Stromleitungen, Telefon- und Fernsehkabel wurden neu verlegt. Die inzwischen zur B 6 umbenannte Straße wurde im Dorf zur Millionenstraße, denn die Baukosten betrugen über zwei Millionen.

Eine Neugestaltung des Marktes und der Zufahrten aus den Nebenstraßen und die Schaffung zweier Fußgängerübergänge wurde ein notwendiges Erfordernis. Kurz vor Weihnachten 1991 rollte der Verkehr wieder auf der Straße.

(Quelle: Calbitz am Collm 1292-1992, von Siegfried Heidler)